Bildung im Vorübergehen:

Theodor-Lieser-Straße

Zusatzschild-Text:
Ingenieur, Chemiker, Professor an der Universität Halle, 1. Oberbürgermeister nach 1945, 1946 Flucht nach Westdeutschland
Spender:
gespendet von der Caritas – Haus der Begegnungen
Status:
realisiert am 28.05.2010

Theodor Lieser (1900-1973)

Theodor Lieser wurde am 30. August 1900 in Ferschweiler, einem kleinen Ort in Rheinland-Pfalz, nahe der Grenze zu Luxemburg, geboren. Sein Vater war Lehrer an der Volksschule und hatte eine Familie mit neun Kindern zu ernähren. Um den Kindern eine bessere Bildung zu ermöglichen, zog die Familie nach Düren. Nach Teilnahme am ersten Weltkrieg studierte Theodor Lieser an den Universitäten Bonn und Aachen. Er promovierte 1923 im Fachgebiet Chemie als Dr. Ing. sowie 1926 als Dr. phil. in Zürich. Ab 1929 war er an der Universität Königsberg tätig und erwarb dort 1930 seine Habilitation. Er wurde bereits 1933 wegen seiner antifaschistischen Haltung beurlaubt. Dennoch erhielt Lieser 1937 einen Lehrauftrag für organische Chemie an der Universität Halle und wurde 1938 zum außerordentlichen Professor berufen.

Lieser beteiligte sich maßgeblich an einer schon 1942 gegründeten Bewegung, genannt ANB (AntiNationalsozialistische Bewegung), half von Nazis gesuchten Bürgern und versteckte jüdische Mitbürger. Im April 1945 waren amerikanische und russische Truppen bis zur Stadt Halle vorgedrungen. In einem Ultimatum forderten die amerikanischen Truppen unter Führung von Colonel G. C. Kelleher die kampflose Übergabe der Stadt, mit der realistischen Drohung, es stünden 750 Bomber bereit, die bei Ablehnung des Ultimatums die Stadt restlos zerstören würden. Der deutsche Stadtkommandant, Generalleutnant Anton Rathke, zögerte mit der Kapitulation, Lieser aber ließ in dieser brisanten Situation Flugblätter drucken und verteilen mit dem Aufruf: "Hallenser! Unsere Familien dürfen nicht sterben! Es gibt nur noch eine Rettung; beim Einrücken der Amerikaner, weiße Fahnen heraus!" Es kam zu einem Treffen von Professor Lieser mit Colonel Kelleher am 17. April und der Übergabe einer Mitteilung über den Rückzug der deutschen Wehrmacht. Nach Entgegennahme der Mitteilung schüttelte Colonel Kelleher Lieser die Hand. Als dieser bemerkte, dass es den Amerikanern verboten sei, einem Deutschen die Hand zu geben, erwiderte der Colonel: "Einem Mann wie ihnen gebe ich gerne meine Hand!" Unmittelbar nach der amerikanischen Besetzung Halles trafen sich Vertreter derjenigen Gruppierungen, die den Hauptanteil an der Rettung Halles hatten, und schlugen Lieser als einzigen Kandidaten für das Amt des Oberbürgermeisters vor. Am 17. Mai 1945 wurde er von dem amerikanischen Stadtkommandanten in diesem Amt bestätigt. Als Anfang Juni die russische Armee Sachsen-Anhalt übernahm, verfügte Halle als eine der ersten deutschen Städte bereits wieder über eine intakte und arbeitsfähige Stadtverwaltung. Das Programm Liesers, das u. a. ein demokratisches Deutschland forderte, missfiel den Kommunisten derart, dass eine politische Intrige angezettelt wurde, die schließlich zur Verhaftung von Lieser am 7. Juni 1946 führte. Nach fast 40 Tagen Einzelhaft gelang Lieser die Flucht aus dem Gefängnis. Er fand ein Versteck im Pfarrhaus des Kaplans Hugo Aufderbeck der Kirche St. Elisabeth (Kaplan Aufderbeck wurde später Bischof von Erfurt). Am 17. Juli 1946 wurde eine Großfahndung mit Plakaten nach Professor Dr. Theodor Lieser eingeleitet. Nach zehn Tagen in verschiedenen Verstecken gelang ihm eine abenteuerliche Flucht in den Westen.

Bis zu seinem plötzlichen Tod am 6. August 1973 wirkte er als Professor für Chemie in Frankfurt/Main und Darmstadt. In Halle wurde Prof. Lieser vier Jahrzehnte totgeschwiegen und geriet weitgehend in Vergessenheit. Erst durch die Veröffentlichungen von Zeitzeugen und Historikern wurde die Erinnerung an ihn geweckt und eine Rehabilitierung bewirkt. Inzwischen hat auch eine Straße in Halle seinen Namen erhalten.

Prof. Lieser engagierte sich nach seiner Pensionierung sehr für seine Heimatregion der Eifel. In Zusammenarbeit mit dem Caritasverband gründete er eine Seniorenbegegnungsstätte. Mit Hilfe einer großen Spende in Form einer Erbschaft konnte das heutige „Caritas Haus der Begegnung“ in Irrel verwirklicht werden.

Dr. Peter Wagner


Quellen:

  • Verschiedene Hallesche Archive, Zeitungsartikel und Beiträge besonders von Herrn Otto Jacob
  • Bertram Otto: Wußten wir auch nicht wohin es geht. Erinnerungen 1927-1947 in Halle/Saale

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