Bildung im Vorübergehen:
Brüderstraße
- Zusatzschild-Text:
- Hallesche Patrizierfamilie mit Grundbesitz innerhalb und außerhalb der Stadt
- Spender:
- gespendet von Peter Breitkopf, Jürgen Engelhardt und Dirk Herold
- Status:
- Vorschlag
Familie Pruve (13. und 14. Jh.)
Man könnte meinen, die Brüderstraße wäre etwa nach einem Mönchsorden benannt worden. Der Stadtchronist Olearius bezeichnet z. B. das damalige Servitenkloster in der Galgstraße – also das Quartier um die heutige Ulrichskirche in der Leipziger Straße – als „neues Brüderkloster“. Es wären auch ganz andere Namensherkünfte denkbar. So soll die Brüderstraße in Leipzig ihren Namen von sieben Brüdern, die in dieser Straße sieben Häuser nutzten, erhalten haben. In Lübeck wurde die Brüderstraße nach den als Bauunternehmer tätigen Brüdern Hartwig, die die dortige Straße angelegt haben, benannt.
In Halle geht der Straßenname auf die Familie Pruve zurück. Dieser Familienname leitete sich wohl von dem südlich von Leipzig gelegenen Ort Profen her. Im Urkundenbuch der Stadt Halle werden Vertreter der Familie erstmals im 13. Jahrhundert erwähnt, so ein Alexander Pruve oder Prube der von 1236 bis 1263 lebte. Die Pruves werden sowohl als Ritter (also Adlige) als auch als Bürger bezeichnet. Sie handelten zeitweise als Vertreter des Landesherrn aber auch des Rates der Stadt. Ein weiterer Alexander Pruve war im 14. Jahrhundert sowohl Bürger der Stadt als auch erzbischöflicher Vogt auf dem Giebichenstein. Die Familie hatte im 14. Jahrhundert auch in Böllberg und Stichelsdorf Besitz. Ihr eigentlicher Wohnsitz befand sich jedoch hier, mitten in der Stadt. In den zwei von Gustav Hertel herausgegebenen Hallischen Schöffenbüchern, die vor allem Grundbesitzüberschreibungen zwischen 1266 und etwa 1460 wiedergeben, werden Vertreter der Familie bis 1366 genannt - eine Pruvestraße dagegen nicht. Drei Jahre später ist es genau umgekehrt. Die Pruvestraße wird somit hier erstmals ca. 1369 erwähnt. Es folgen in den nächsten Jahrzehnten Benennungen als Pruben- oder Prufenstraße bis zur Prüfenstraße 1458. Im Totenverzeichnis der Mariengemeinde ist daraus bei einer Nennung 1591 die Brübelstraße geworden und im sogenannten Lehenbuch von 1608 dann die Brüderstraße. Wo genau sich der Hof der Familie Pruve in der heutigen Brüderstraße befand, ist unklar; die Zuschreibung des Grundstücks Nr. 10 als ehemaliger Standort der Pauli-Kapelle der Pruves nicht nachweisbar
Dass das Gebiet schon sehr früh besiedelt war, zeigten die Ausgrabungen 2019 auf dem Grundstück Brüderstraße 7/ Kleine Steinstraße. Die prominente innerstädtische Lage zog wohlhabende und einflussreiche Eigentümer und Bewohner an. Seit dem späten 16. Jahrhundert finden sich in den einschlägigen Quellen Angehörige von Ratsfamilien wie Gregor Ockel und Andreas Hujuff als Hausbesitzer. Im Haus Nr. 15 soll Mathis Gothart Nidhart, genannt Grünewald, als Gast längere Zeit gewohnt haben. Die Häuser Brüderstraße 6 (Portal von Nickel Hofmann), 7 (bis zum Abriss im Oktober 2025 ein markantes Eckfachwerkhaus von ca. 1615) und die Fassade der Nr. 12 sind bzw. waren Zeugen dieser ‚reichen‘ Zeit.
Im 17. Jahrhundert wohnten in der Brüderstraße Beamte des Erzstiftes, später von Brandenburg-Preußen. Prominente Bewohner brachte die neugegründete Universität. Man schätzte die Lage und unterrichtete wahrscheinlich auch vor Ort. So wohnten und arbeiteten in dieser ‚Professorenstraße‘ der Theologe Joachim Lange (Nr.2), der Mathematiker Simon Klügel (Nr. 11), der Anatom Philipp Theodor Meckel (Nr. 5), der Altertumswissenschaftler August Eberhard (Nr. 13). Es scheint Leben, Betriebsamkeit und ‚Geist‘ geherrscht zu haben in dieser Straße nahe dem Markt.
Veränderungen gab es ab dem späten 19. Jahrhundert. Die Professoren gaben den Standort auf, Kaufleute und Handwerker siedelten sich an, teilten Grundstücke, bauten um und neu. Die Brüderstraße veränderte ihren Charakter, war aber immer noch belebter Teil der Innenstadt, auch mit Gastronomie. Das Bombardement 1945 riss eine empfindliche Lücke die nie geheilt wurde. Die Brüderstraße wurde zu einer Nebengasse, die wenigen Passanten und Fahrzeuge passieren die Straße ohne wirklich Notiz von ihr zu nehmen. Selten werden die noch existierenden bedeutenden Baudenkmale (dann mit Erstaunen) wahrgenommen. Denn es stehen immer noch großartige Häuser hier und vielleicht beginnt die Straße irgendwann wieder zu leben wie in alten Zeiten.
Peter Breitkopf / Jürgen Engelhardt
September / Oktober 2025