Bildung im Vorübergehen:

Schleiermacherstraße

Zusatzschild-Text:
Professor der Theologie in Halle und Berlin, Philosoph, Förderer der „Union“ der evangelischen Kirchen
Spender:
gespendet von Harro Kieser und Harald Günther, von Dr. Kerstin Heldt, Dr. med. Frank Matschiner und der Hausgemeinschaft der Schleiermacherstraße 8, von Dr. Anne Friedrich, von Barbara Schütte und der Paulus-Apotheke
Status:
realisiert am 15.11.2012

Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher (1768-1834)

1. Theologischer Hintergrund

Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher stammt aus Breslau. Dort wurde er am 21.11.1768 geboren, in eine zutiefst evangelisch-reformierte Familie hinein, also nicht evangelisch-lutherisch. Seine Eltern vertrauten die Kinder der Erziehung der Herrnhuter Brüdergemeinde an, in Einrichtungen in Niesky und Barby. Schleiermacher studiert vier Semester Theologie in Halle, wo sein Onkel mütterlicherseits (Samuel Ernst Thimotheus Stubenrauch, 1738-1807) Rektor des reformierten Gymnasiums und Universitätsprofessor ist; dann folgen Studium und kirchliches Examen in Berlin vor dem Reformierten Kirchendirektorium. In den nächsten Jahren wirkt er als Hauslehrer bei der Grafenfamilie Dohna und dann ab 1796 bis 1802 als Charité-Prediger in Berlin. Dort verkehrte er im Kreis der Frühromantiker und knüpft Freundschaften auf hohem Niveau. In dieser Zeit schreibt er sein erstes wichtiges Werk: die „Reden über die Religion an die Gebildeten unter ihren Verächtern“. Hier geht es ihm darum, gegenüber der Vernunft- und Naturreligion der Aufklärung einen neuen Ort für Religion im „Gefühl“ des Menschen zu geben. Er bestimmt die Religion als „Sinn und Geschmack für das Unendliche“. In seinem Hauptwerk „Glaubenslehre“ beschreibt er dann die Religion als „Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit“ von Gott – ein sehr geläufig gewordener Ausdruck. Als Ethiker lässt er ein zweites Werk folgen, mit dem Titel „Christliche Sitte“. Neben seiner theologischen Tätigkeit arbeitet er auch als Philologe und übersetzt die Werke Platos. Aber auch kirchenpolitisch engagiert er sich. Er als reformierter Theologe wird ein Vorkämpfer der kirchlichen Union von Lutheranern und Reformierten, wie dies auch von königlicher Seite gewünscht war. Er will dies aber als Bekenntnisgemeinschaft der beiden Kirchen erreichen, nicht mit staatlichem Druck. Daneben arbeitet er stetig an einer Reform des Gottesdienstes, auch der Liturgie. 1804 bekommt Schleiermacher einen Ruf an die Universität Halle. Nach der Schließung der Universität Halle 1806 strebt er eine Tätigkeit in Berlin an, wird aber im Herbst 1807 noch in Halle nachträglich zum Doktor der Theologie promoviert. Das sollte die Fakultät in Halle stärken. Knapp 3 Jahrzehnte seines Lebens verbringt er dann in Berlin und stirbt dort am 12.2.1834.

Hermann von Lips

2. Hallescher Hintergrund

Bei der Auswahl der Unterschilder in Halleschen Straßen hat mich zu allererst immer die Beziehung des Namensträgers zur Stadt Halle geleitet. Für Schleiermacher, dessen akademisches Wirken Sie ja eben beschrieben hörten, hat dies durchaus auch ganz bunte Seiten. Schleiermacher ist mit Halle viel mehr verbunden als die zwei Jahre des Studiums und die drei Jahre als Professor ahnen lassen. Er wohnte als Professor in der Großen Märkerstraße 21. Das Haus kann man heutzutage anschauen. Es ist nicht weit vom Markt, und der Junggeselle Schleiermacher konnte dort mit Hilfe seiner Halbschwester in der Wohnung studentische Unterrichtung, Seminare und Vorlesung und geselliges Leben durchführen. Von eher bescheidener Statur, muss er mit seinem Charme große Anziehungskraft auch im geselligen Bereich gehabt haben. Und er verband seine Berliner Bekanntschaften mit dem Aufenthalt in Halle – wohl auch ein bisschen gedrängt von einer schönen Frau, nämlich von der jungen Arztwitwe Henriette Herz (1764–1847). Ihr Vater, der jüdische Arzt Benjamin de Lemos (1711–1789) und auch ihr damals gerade verstorbener Mann hatten beide in Halle ihren medizinischen Doktortitel erworben. Und Henriette sah mit Freude den Ruf Schleiermachers nach Halle. Sie hatte nämlich den jungen Ludwig Börne (1786–1837) bei der Familie Johann Christian Reil untergebracht, wo er sich nur beschränkt wohlfühlte. Und mit allen Mitteln versuchte sie, den jungen Börne in den Kreis Schleiermachers zu bringen. Das Jahr 1806, Schließung der Universität, beendete diese Bemühungen. Aus dem Briefwechsel zwischen Henriette und Schleiermacher erfahren wir viel über das damalige Halle – auch Intimes und Interessantes. Dass es ihm nicht immer gut ging dort, wissen wir auch. Denn die Franzosen raubten ihm seine Wohnung aus und überließen ihm noch zwei Gabeln und fünf Oberhemden.

Aber was er uns hinterließ, wir können schon sagen, für den Ruhm Halles, ist die bis heute bekannte Geschichte in Erzählungen mit dem Titel „Die Weihnachtsfeier“. Sie entstand kurz vor Weihnachten 1805 und konnte erst im neuen Jahr quasi als Neujahrsgabe gedruckt werden. Theologen haben sie vielmals gedeutet als eine poetische Darstellung seiner Theologie. Was eigenartigerweise immer wieder übersehen oder nicht erkannt wird: das bürgerliche Weihnachtsfest, das hier geschildert wird, (Großfamilie mit Freunden) findet statt in Giebichenstein bei Reichardt, fiktiv natürlich. Allein die festlich geschmückten großen Räume und die Rolle der Musik, vertreiben jeden Zweifel. Und die kleine Sophie – wen erinnert sie nicht an Luise Reichardt? Umgekehrt ist dieser Name Sophie ein Bezug zu Novalis (so hieß nämlich seine erste Verlobte). Von ihm zitiert Schleiermacher im Verlauf ein Gedicht als Kirchenlied. Denn natürlich war auch Novalis einst Gast in Giebichenstein, wenn auch nicht an Weihnachten. Übrigens wissen wir, dass Schleiermacher den Heiligen Abend des Jahres 1805 bei Reichardts verbracht hat.

Es ist geradezu spannend zu sehen, welche menschlich-persönlichen Einflüsse in Halle auf Schleiermacher gewirkt haben, und wie es ihm gelang, sie in seiner Erzählung „Die Weihnachtsfeier“ für alle Zeiten lebendig zu halten. Auch heute noch können Sie das kleine Werk in Neuauflagen immer wieder erwerben. Als Nichttheologin möchte ich mich zur literarischen Form nicht lange äußern, aber ein Erzähl-Coup Schleiermachers sei doch erwähnt: Er gibt der am Schluss auftretenden einsamen Figur den Namen „Joseph“. Man vermutet, dass es ein kleines Selbstporträt ist. 

Ingeborg von Lips

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